Lisboa, Portugal. Rau wie Bimsstein schließt sich seine große Hand um meine und schüttelt sie überraschend behutsam. In der anderen hält er eine Axt.
„Die Bäume müssen gefällt werden. Sonst fallen sie aufs Haus, beim nächsten Sturm.“
Teodoro zeigt auf den hohen Eukalyptusbaum, der sich mit seinen feinen langen Blättern über die schmale Schotterstraße beugt und erzählt, wie der starke Regen der letzten Woche durch die Fensterspalten seines Hauses gespritzt ist. Auch bei uns rann das Wasser durch den Kamin in die Küche und wurde im Wohnzimmer vom Wind unter der Außentür hindurch gepeitscht.
Rau wie Bimsstein schließt sich seine große Hand um meine.
Obwohl ich nur den Müll zum Container an der Ecke bringen wollte, stecke ich mal wieder mitten drin in einem kleinen Gespräch mit einem Bewohner der Rua do Cabine.
Hier im hintersten Winkel des Straßengeästs von Fonte Boa dos Nabos, einem Dorf nur zwanzig Gehminuten von dem bekannten Fischerort und Surfmekka Ericeira entfernt, gibt es gerade mal vier Häuser in der Sackgasse.
Teodoros ist das Erste, schräg gegenüber lebt sein Sohn Artur mit seiner Frau und zwei Kindern. Am Ende der Straße steht das Haus der Schwester seiner Schwiegertochter und dazwischen das Ferienhaus eines Freundes von uns. Eine Autopanne hat uns hier stranden lassen und während die Mechaniker in der Werkstatt ein paar Straßen weiter operieren „wenn es Dunkel ist“, verbringen wir unsere Tage damit, das Krähen der Hähne zu zählen.
Teodoros Urgroßvater gehörte hier damals das große Stück Land mit zwei weißgetünchten Häusern, dann gehörte es Teodoros Vater und dann irgendwann seinem Sohn.
Teodoro wurde Seemann und fuhr dreizehn Jahre lang mit großen Frachtschiffen durch Europas Gewässer. Von Italien bis Marokko und von Finnland bis nach Irland, meistens mit Holz beladen. Die Reederei, für die er arbeitete, lag in der Nähe von Bremerhafen und so kramt er die fast vergessenen Worte der fremden Sprache hervor, die sich erstaunlich schnell wieder zusammenfügen und erzählt von vergangenen Zeiten.
„Früher war das alles anders hier,“ sagt er und blickt auf die Felder, die sich an den sattgrünen Hügeln hinaufziehen und auf denen der viele Regen Gras und Unkraut sprießen lässt. „Überall wurden Kartoffeln angebaut und die Hänge waren voller Wein. Die alten Leute haben auf den Ackern gearbeitet. Aber die Jüngeren, die jetzt hier leben, die bauen nicht mehr an. Sie arbeiten woanders oder ziehen weg. Es interessiert sie nicht mehr und alles liegt brach.“
Auch er selbst hat dort vor vielen Jahren Kartoffeln und Tomaten mit der Hand gesät und geerntet. „Doch dann kamen die Maschinen. Ein Traktor fuhr über die Felder und hat die harte, steinige Erde von ganz unten nach oben gegraben. Im Sommer scheint die Sonne den ganzen Tag und trocknet diese Erde viel schneller aus“ sagt er und schaut auf seine schwieligen Hände. „Die Arbeit mit der Spitzhacke und den Händen war ein Kampf. Den wollte ich irgendwann nicht mehr kämpfen“.
In seinem bunten Garten recken sich die Brokkoliblätter absurd hoch in die warme Novemberluft.
Er schiebt die freie Hand tief in die Tasche seiner abgewetzten Hose und zeigt mit der Axt auf die Beete hinter der weißen Mauer. Ich stelle den Müllbeutel ab und folge seinen langen Schritten in den bunten Garten. Die Erde hier scheint ein Festmahl zu sein für all die Wurzeln, die sich dort hineingraben: neben einer Reihe mit leuchtenden Salatköpfen recken Broccoliblätter sich absurd hoch in die warme Novemberluft. In wenigen Wochen werden dann die Zitronen und Orangen endlich saftig sein. Für Erdbeeren und Tomaten sei es gerade nicht die richtige Zeit. „Zu kalt in der Nacht“, meint er fast entschuldigend und zuckt mit den breiten Schultern. Er hätte sie uns wohl gern gezeigt.
Wir stehen mitten zwischen den üppigen Zitronenbäumen und blicken hinüber auf das Haus seines Sohnes. „Wenn ich damals nach Hause kam, nach acht oder neun Monaten auf einem Schiff, war Artur immer größer“, sagt er und zeigt dabei mit seiner Hand erst zu seinen Knien, dann zum Oberschenkel und dann zur Hüfte. Die breiten Abstände dazwischen haben ohne ihn stattgefunden und ihm jedes Jahr aufs Neue vor Augen gehalten, wie viel er wirklich verpasst hatte. Er schüttelt den Kopf und erzählt, dass es genug war, irgendwann. Er wollte nicht mehr den Großteil seines Lebens so weit weg arbeiten und kündigte. Dann sei er ein letztes Mal nach Hause gekommen – und geblieben.
Sein Sohn war jedes mal ein großes Stück gewachsen, wenn Teodoro nach neun Monaten wieder nach Hause kam.
Arturs Frau bugsiert die beiden Kinder auf den Rücksitz und hält kurz neben uns an, kurbelt das schmutzige Fenster herunter und legt einen Beutel mit Essensresten auf die tiefe Mauer. „Für die Hühner“, meint Teodoro zu mir und nimmt den Beutel. Seine Enkelin schläft versunken im Kindersitz, doch der kleine Junge winkt und lacht und streckt seine Hand nach vorn durch das Fenster. Von den beiden wird Teodoro keinen Zentimeter verpassen – er braucht ja nur über die Straße zu gehen.
November 2013 / Nebensaison
Photostrecke Fonte Boa dos Nabos
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