Lisboa, Portugal. „Magic Quiver“, „Wavegliders“ – ohne genau zu wissen worum es ging weckten diese Worte meine Aufmerksamkeit. Sie verselbstständigten sich in meiner Vorstellung und schufen ein diffuses aber verheissungsvolles Bild einer Welt rund um Blanks, Shaper, Kunst und Wellen. Ich war unterwegs mit Andeas Jaritz und Mario Hainzl. Es war die erste Drehreise für den Film „The Old the Young and the Sea“ und ich hatte mich entschlossen, für gute zwei Wochen zum Team zu stoßen, um das Projekt von Galizien bis Ericeira zu begleiten.
Obwohl ich schon lange einen großen Teil meiner Zeit dem Surfen widme, war ich doch nie Teil einer Surfcommunity, wie ich sie das erste mal in Ericeira kennenlernen sollte. Wir trafen unterschiedlichste Leute, doch was sie alle wie ein roter Faden verband, war dieser Sport dem sie ihr Leben widmeten.
Als wir den „Magic Quiver Surfshop“ das erste mal betraten, merkten wir gleich, dass wir es hier nicht mit einem normalen Surfshop und seinen gewohnten Produkten zu tun hatten.
Als wir den Laden von Rui (Magic Quiver Surfshop mitten in der Altstadt von Ericeira) das erste mal betraten, merkten wir gleich, dass wir es hier nicht mit einem normalen Surfshop und seinen gewohnten Produkten zu tun hatten. Hier bei Rui war kein Shortboard zu finden. Longboards, Fishs, Mini Simmons‘ und andere exotisch aussehende Shapes bestimmten das Bild. Die Bretter hatten nicht nur besondere Formen, sie sahen auch anders aus, waren farbig, eins komplett schwarz, mal mit eingearbeiteten Strukturen, mal glänzend, mal matt. Ein paar der Bretter stammten aus der Hand Nicos, auch bekannt unter „Wavegliders“.
Wir kamen zu spät zu unserem ersten Treffen, da wir uns im Straßengewirr der kleinen Orte zwischen Ericeira und Sintra immer wieder verfranzten. Nur mit mehrmaligem Nachfragen fanden wir sie dann schließlich doch. Als wir das letzte kleine Kaff verlassen und sich die schon kleine Straße in einen Feldweg verwandelt hatte, kamen wir, einen Schweif aus Staub und Sand hinter uns herziehend, bei Nicos Fabrik an.
Sofort zog er uns hinein in seinen Mikrokosmos des Surfboarddesigns, ständig untermalt durch wilde Gesten.
Sofort zog er uns hinein in seinen Mikrokosmos des Surfboarddesigns, ständig untermalt durch wilde Gesten. Immer wieder folgten seine Hände den Wegen des Brettes auf der Welle, lautstark von ihm untermalt mit zischenden Tönen die seine Visionen noch unterstreichen sollten. Dieser Typ war begeistert von dem was er tut und voll dabei, aber vielleicht auch schon ganz schön benebelt von den Dämpfen die in den letzten Jahrzehnten den Weg von seiner Lunge ins Gehirn fanden. Wahrscheinlich machte die Mischung aus Begeisterung, jahrelanger Erfahrung, kombiniert mit einer sympathischen Durchgeknalltheit genau die Faszination aus, mit der wir nach unserem ersten Treffen wieder den Bus bestiegen.
Für Aufnahmen hatten wir keine Zeit, doch der Plan war gemacht: ich sollte ihn Ende des Sommers wiedertreffen.
Wir hatten nicht viel ausgemacht, aber es war klar, dass ich bei ihm vorbeischauen sollte, um ein paar Aufnahmen für den Film zu machen und da ich einen guten Teil des Augusts und Septembers in Ericeira verbrachte, war ich glücklicherweise nicht unter Zeitdruck – und wie sich herausstellen sollte, war Zeit ein wichtiger Faktor für die Aufnahmen mit Nico.
Ich kam voll ausgestattet zu unserem ersten Wiedersehen – Kamera, Stativ, ein Slider, alles schon in der Hand, bereit loszulegen… doch daraus wurde nichts. Er hatte noch mehrere Bretter zu glassen, da schaute ich ihm zu und den Rest der Zeit saßen wir draußen und redeten. Über Bretter, über Portugal, über ihn und über seine Entscheidung sich als Shaper in eine andere Richtung zu entwickeln. Die Kamera verließ nicht einmal den Rucksack, dafür wurde ein neuer Plan geschmiedet: ich entschloss mich ein Brett bei ihm in Auftrag zu geben und dabei die gesamte Produktionskette vom Blank bis zum fertigen Brett zu dokumentieren.
Ich denke ich hatte großes Glück, dass er nicht komplett voll war zu dieser Zeit und so hieß es noch einmal warten. Gute zehn Tage bis er mit dem Brett anfangen konnte. Danach eine gute Woche um das Brett fertigzustellen. Sein Handwerk braucht Zeit, Materialien müssen trocknen, härten, geschliffen werden, wieder härten und trocknen. Das war kein Job für ungeduldige und je länger ich mit Nico zusammen war und filmte, um so mehr gewöhnte ich mich an die Zeit, bei der sich das Ticken der Zeiger verlangsamte, die Tage aber trotzdem rannten und so plötzlich um waren wie sie begonnen hatten.
Inzwischen ist ein Jahr vergangen, der Kalender zeigt Anfang November und mich treibt es wieder nach Ericeira. Die alten Erinnerungen sind schon ein wenig ausgeblichen und so klopfe ich an die Tür seiner neuen Fabrik. „Nico? Nicht da, gerade essen, ruf ihn an, keine Ahnung wann er genau wiederkommt“ ruft mir ein glatzköpfiger dicker Kerl entgegen. Dick ist vielleicht das falsche Wort, die Masse sieht nach Kraft aus, um kleine Bäume zu entwurzeln oder aber um große Bretter in ebenso große Wellen zu befördern.
Eine Stunde später schaue ich wieder vorbei, betrete die Fabrik, steige die Eisentreppe gleich nach dem Eingang hinauf und sehe ihn am Ende des Gangs im ersten Stock sitzen. Seine Haare sind länger geworden und im Gespräch mit einem Pärchen durchschneiden seine Hände schon wieder die Luft.
Die Begrüßung ist sehr herzlich und ich habe sofort das Gefühl, dass hier einiges richtig gelaufen ist. Doch manche Dinge sind beim alten: ich warte erst mal gute eineinhalb Stunden bis sich das Pärchen verabschiedet. Es ging um eine Brettbestellung und in einem langen Gespräch nahmen die Wünsche und Erwartungen von Simon aus der französichen Schweiz immer klarere Formen an. „Meine Kunden sind natürlich das Wichtigste für meine ganze Arbeit, ohne sie gäbe es mich ja gar nicht. Und die Gespräche sind sehr wichtig, um festzustellen wohin die Reise gehen soll und helfen mir die Erwartungen meiner Kunden zu erfüllen“, sagt Nico.
Danach führt er mich rum, zeigt mir seine sowie die Räume seiner Kollegen, insgesamt sind es drei Shaper in der neuen Factory: Luke als Shaper und Designer für „Boardculture“, „Jobsite“, „58 Surf Shop“ und eigene Projekte, Jarmeson, der Luke bei allen Brands aushilft falls nötig, mit seiner eigenen Marke „DNA“ und Nico, mit „Wavegliders“.
„Einer der größten Unterschiede ist, dass ich nicht mehr ganz alleine da draußen in der Wildnis sitze. So abgeschnitten, inmitten dieser ganzen giftigen Dämpfe kann einen so langsam ganz schön abdriften lassen. Wenn ich daran denke, dass ich mir die Fabrik da draußen mit diesem wortkargen Brasilianer teilte, der immer kam, um Kekse nach einem Rezept aus seiner Heimat zu backen, dann merke ich wie gut es mir jetzt hier geht. Aber nicht nur das, wir inspirieren uns hier auch gegenseitig und es ist immer jemand da, um sich mal schnell eine Meinung einzuholen. Ich denke, jeden von uns bringt dieser Zusammenschluss unter einem Dach eine Menge Vorteile.“
Mein Eindruck von Nico kann diese Worte nur unterstreichen, er ist ziemlich präsent, voll da und viel weniger in seiner eigenen Welt, als noch letzten Sommer. Er lacht viel und strahlt über beide Ohren. Man sieht ihm nicht an, dass er gerade wohl einen der anstrengendsten Sommer seiner noch jungen Brettschmiede hinter sich hat – aber natürlich auch einen seiner erfolgreichsten.
Im Erdgeschoss erzählt er mir zusammen mit seinem Kollegen Chino, der gerade einen kompletten Raum mit Brettern für den „58 Shop“ in Peniche geglasst hat:
„Als ich im Januar hier rein kam war nicht viel los und wir alle sind ein wenig unruhig geworden, ob das alles eine gute Entscheidung war. Doch im Februar kamen so langsam die ersten Aufträge und dann ging es Schlag auf Schlag“, erzählt Nico. „Es war wie „pipoca“… wie Popcorn, und die Aufträge ploppten nur so hervor und überhäuften uns regelrecht. Einige male gab es Engpässe mit den Materialien, aber wir haben doch immer irgendwie alles hinbekommen“, sagt Chino und lacht dabei.
„Es war wie „pipoca“… wie Popcorn, und die Aufträge ploppten nur so hervor und überhäuften uns regelrecht.“
Der erfolgreichste Sommer dieser Shapergemeinschaft liegt inzwischen hinter uns, aber die Energie und der Optimismus waren deutlich zu spüren und vielleicht befindet sich diese Geschichte gerade erst am Anfang.
Bevor ich gehe schieße ich mit Nico noch ein paar Polaroids, auf denen er mir die Sachen zeigt, die für ihn und seine Arbeit wichtig sind. Und was mit einfachen Tools beginnt, endet mit Geschichten über die letzten vier Jahre, seinen Weg hierher und die Stationen die er dabei besucht hat. Und ganz langsam verschwinde ich wieder im schwarzen Zeitstrudel von Nicos Geschichten und kehre wie gewohnt erst Stunden später im dunkeln zurück nach Hause.
November 2013 / Nebensaison
Wavegliders Blog
Wavegliders Website
Luke with Boardculture, 58 Surfboards & BuddGlass
DNA Surfboards
The Old the young and the sea
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